Wie sind Sie Nebenkläger im NSU-Prozess geworden?
Ich bin seit 1998 Rechtsanwalt und habe von Anfang an regelmäßig Nebenklagen bei Straftaten mit rassistischem oder faschistischem Hintergrund gemacht. Dadurch habe ich Kontakte nach Köln und dann auch zu meiner Mandantin bekommen.
Wie gestaltet sich Ihre Arbeit? Welche Schwierigkeiten und Besonderheiten gibt es?
Es sind die Besonderheiten eines Staatsschutzverfahrens beim Oberlandesgericht. Wir haben einen enormen Umfang des Verfahrens und der Verfahrensakte – trotzdem haben wir ganz viele Akten, die beispielsweise den Untersuchungsausschüssen vorlagen, überhaupt nicht. Es gibt viele Akten, die immer noch geheim sind und noch gar nicht vorlagen. Es ist natürlich ein immenser Aufwand, sich in diesem Wust einzuarbeiten.
Das zweite und größte Problem ist, dass wir eine Anklage haben, die offensichtlich vom Konzept her ein oder zwei Monate nach dem Auffliegen des NSU mit einer klaren politischen Vorgabe gemacht worden ist. Nämlich den NSU so klein wie möglich zu halten und alle Verbindungen zu anderen politischen Strukturen, Netzwerken usw. herauszuhalten. Die Annahme der Bundesanwaltschaft ist, dass der NSU nur aus den zwei Toten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos plus Beate Zschäpe bestanden haben darf. Alle anderen Personen, denen man eindeutig Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem NSU und den vom NSU begangenen Morden nachweisen kann, dürfen nur Unterstützer sein. Das Gericht hat diese Anklage zugelassen und das heißt, dass wir in der Hauptverhandlung an diese Vorgaben gebunden sind. Das ist natürlich ein sehr großes Problem für uns.
Sehen Sie die Aufgabe als rein juristische oder ist das auch eine politische Tätigkeit?
Den Aufwand einer Nebenklage in so einem Verfahren macht man nur, wenn man mit der Vertretung der Interessen der Nebenkläger mehr als nur den Strafprozess selbst verbindet.
Es geht hier darum, eine Mordserie von Neonazis, die vor den Augen des Staates, zum Teil sogar unter Mithilfe von V-Leuten, aufzuklären. Es geht darum aufzuklären, warum Polizei, Verfassungsämter und andere Ämter hier nicht ermitteln wollten beziehungsweise mit aller Macht gegen die Opfer ermittelt haben – das sind politische Fragen, in denen der Strafprozess ein Werkzeug ist.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den anderen VertreterInnen der Nebenklage?
Das ist naturgemäß nicht ganz einfach. Es sind sehr viele Nebenkläger, die alle andere Interessen haben. Unsere Arbeit als Nebenklagevertreter ist natürlich an den Willen und die Vorgaben unserer Mandanten gebunden und deswegen gibt es sehr viele verschiedene, zum Teil auch gegeneinander laufende, Interessen. Wir tun unser Bestes, das miteinander abzugleichen und bisher ist das ganz gut gelungen.
Was ist Ihre Hauptforderung, was gilt es in diesem Prozess herauszuarbeiten?
Das Hauptinteresse meiner Mandantin ist, zu verhindern, dass dieser Prozess von der Bundesanwaltschaft und anderen staatlichen Stellen dazu benutzt wird, einen Schlussstrich zu ziehen und ein Symbol zu setzen, mit dem behauptet werden könnte, die Angelegenheit ist jetzt aufgearbeitet. Meine Mandantin will auf jeden Fall klarstellen, dass dieser Prozess die Problematik nicht beendet und das die eigentliche Aufklärungs- und Ermittlungsarbeit erst noch ansteht.
Kann der Prozess diese Forderung erfüllen?
Ich bin mir sicher, dass es möglich ist und möglich sein wird, in diesem Prozess jedenfalls zu verhindern, dass hier Geschichte verfälscht wird. Ich glaube auch, dass es in diesem Prozess möglich ist, die wichtigen Fragen zu stellen und in den Mittelpunkt zu rücken. Inwiefern wir auf unsere Fragen auch Antworten bekommen werden, ist zweifelhaft. Aber wenn man im Kopf hat, dass mit diesem Prozess die Aufklärung noch nicht beendet sein darf, dann kann der Prozess eine wichtige Rolle spielen.
Hat das relativ große mediale Interesse an diesem Prozess einen Einfluss auf Ihre Arbeit?
Das mediale Interesse hat einen Einfluss auf unsere Möglichkeiten, macht Druck auf das Gericht und die Bundesanwaltschaft und deswegen ist auch so wichtig, dass weiterhin öffentliches Interesse da ist, dass dafür gekämpft wird und dass weiterhin Öffentlichkeitsarbeit gemacht wird. Wenn das mediale Interesse erheblich nachlässt, könnte dieser Prozess, egal was wir auch als Nebenklagevertreter machen, schnell beendet und ein Schlussstrich gezogen werden.
Wie schätzen Sie die Aussagen der Angehörigen der Behörden ein?
Die Polizeizeugen, die direkt nach den Taten die Ermittlungen übernommen haben, bleiben im wesentlichen bei Ihren Angaben. Sie stellen dar, warum sie meinen, gute Gründe gehabt zu haben, rassistische Ermittlungen gegen die Opfer durchzuführen. Sie stellen dar, sie hätten ihr Bestes gegeben. Das ist zu Teil sehr unappetitlich und sehr unschön. Es gab bisher noch keine Entschuldigung von irgendeinem der Beamten, die damals ermittelt haben.
Die Polizeibeamten, die nach Aufdeckung des NSU, also im wesentlichen vom Bundeskriminalamt, die Ermittlungen übernommen haben, wissen, dass sie hier besonders im Blick der Öffentlichkeit stehen. Diejenigen, die heute noch beim Bundeskriminalamt arbeiten, kommen meistens sehr gut vorbereitet. Andere, die mittlerweile in anderen Dienststellen sind, haben diese Möglichkeiten nicht und machen zum Teil einen ziemlich erbärmlichen Eindruck. Die gut vorbereiteten Polizeibeamten erzählen das, von dem sie ausgehen, dass es die Bundesanwaltschaft und das Gericht hören wollen. Der Gesamteindruck der Polizeizeugen ist keine besonders guter – es wird deutlich, dass zunächst versucht worden ist, die Sache gegen die Angehörigen oder das Umfeld zu wenden. Die deutsche Polizei konnte sich gar nicht vorstellen, dass es rassistisch motivierte Straftaten waren und hat deswegen in diese Richtung auch nicht gearbeitet.
Wenn doch mal jemand so etwas in den Raum geworfen hat, ist es schnell abgewürgt worden. Die Polizeibeamten, die nach dem November 2011 die Ermittlungen übernommen haben, haben von Anfang an ganz klar ihren Auftrag gesehen, hier eine drei Personen Terrorgruppe nachzuweisen und alle Anderen nur als Helfer oder Unwissende darzustellen.
Wie schätzen Sie die Aussagen der ZeugInnen aus der unterstützenden Naziszene ein?
Das sind ja teilweise Zuträger für die Geheimdienste, teilweise sind es Neonazis: Die versuchen natürlich so wenig wie möglich zu sagen, die lügen, die schweigen, die verschweigen, die verstellen sich. Das wird ihnen im Prozess auch relativ leicht gemacht. Es ist sehr schwierig, Zeugen die auch ein Eigeninteresse haben, nichts zu sagen, nicht die Wahrheit zu sagen, dazu zu bringen, offene Angaben zu machen. Man kann davon ausgehen, dass die ganzen Zeugen aus der Naziszene im wesentlichen versuchen, sich selbst und ihre Umgebung aus der Sache heraus zu halten.
Wie schätzen Sie den weiteren Verlauf des Prozesses ein?
Ich nehme an, bis zum ersten Viertel des Jahres 2015 wird es dauern. Wir haben im ganz normalen Programm noch einiges aufzuarbeiten. Wir sind mit der Frage Struktur der terroristischen Vereinigung NSU noch nicht weiter. Wir haben noch nicht erörtert, woher die Waffen kommen konnten und wer sie noch weiter unterstützt hat. Wir versuchen als Nebenklage darüber viel mehr Aufklärung zu bewirken, indem wir Beweisanträge stellen, Personen aus dem Umfeld von Blood&Honour und anderen Organisationen mit denen NSU-Mitglieder verstrickt waren, zu hören. Wir versuchen zu erreichen, dass alle V-Leute aus der Umgebung des Unterstützerkreises des NSU vernommen werden. Inwieweit wir erfolgreich sein werden, ist noch nicht abzusehen.
Was hat Sie im Prozess bisher am meisten bewegt?
Am meisten bewegt hat mich tatsächlich, zu sehen, wie die wenigen Nebenkläger, also Angehörige von Ermordeten, versuchen ihren Platz im Prozess einzunehmen und wie schwer ihnen das doch fällt, angesichts der vermutlich notwendigen, aber doch bedrückenden Inszenierung eines Strafprozesses. Das waren schon bewegende Momente.
Ist die Anklageschrift weit genug gefasst, um eine Aufklärung im Themenkomplex NSU leisten zu können? Und ist Aufklärung jenseits von Verurteilungen überhaupt das Ziel?
Aus Sicht der Anklagebehörde ist es nicht Aufgabe des Prozesses, den NSU vollständig aufzuklären, sondern Aufgabe des Prozesses ist es, die Angeklagten zu verurteilen. Das ist grundsätzlich richtig, wobei man sich fragen kann, warum sind diejenigen, die heute hier sitzen angeklagt und andere nicht. Ich halte in einem Prozess der als Jahrhundertprozess in die Geschichte der BRD eingehen wird, diese Idee einer Anklage für falsch. Es wäre zwingend gewesen, sie weiter zu fassen und in die Anklage die wesentlichen Mitglieder und Beteiligten aufzunehmen. Das hätte vielleicht bedeutet, dass der Prozess erst etwas später begonnen hätte aber so wie es gemacht worden ist, ist es eine nicht zulässige Verengung der Tatvorwürfe und der Beschuldigten auf nur sehr wenige. Es ist der Versuch, in der Öffentlichkeit zu verbreiten, das seien nur ganz wenige und eine abgeschlossen Gruppe gewesen und davon abzulenken, dass diese Leute hier Teil eines bundesweit agierenden Netzwerkes waren und es noch zahlreiche andere Nazis gibt, die mit ihren Strukturen genau dort weiter machen könnten wo der NSU angefangen hat.
Hatten die Ermittlungen vor der Selbstaufdeckung des NSU einen Charakter, den man als institutionellen Rassismus bezeichnen kann?
Ich glaube es ist richtig, festzustellen, dass die Institutionen der Strafverfolgung von ihrem Selbstverständnis, von ihrer Organisation, von ihren Grundstrukturen her Rassismus reproduzieren. Man kann relativ gut darlegen, dass diese Ermittlungen insgesamt von institutionellem Rassismus geprägt waren. Das heißt: Es waren rassistische Ermittlungen, auch wenn die einzelnen Polizeibeamten selbst keine rassistischen Vorurteile hatten. Das ist etwas, was oft auch, manchmal bewusst, manchmal unbewusst, missverstanden wird, wenn wir von institutionellem Rassismus sprechen. Die Art und Weise, wie Polizei und Staatsanwaltschaft im Allgemeinen ermitteln, wenn es um Straftaten zum Nachteil von nicht-deutschen oder deutschen mit migrantischem Hintergrund geht, reproduziert Vorurteile, die da sind und die die Teil der Ermittlungsprinzipien geworden sind. Das ist auch hier geschehen.
Wie beurteilen Sie den medialen und politischen Diskurs zum Thema NSU in Deutschland?
Bezüglich der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse gibt es zum Teil zentrale Personen in diesen Ausschüssen, die sagen, es ist falsch, dass die Ausschüsse beendet sind. Wir haben aber eine politische Erklärung, nicht nur der Regierung, sondern auch von anderen politischen Größen und Parteien, die so tun als wäre da Ganze abgeschlossen und aufgeklärt.
Der Mediendiskurs kommt mir zum Teil verlogen vor. Wir wollen nicht vergessen, dass zahlreiche große Medien, die jetzt teilweise kritisch berichten, noch eine Woche vor der Selbstaufdeckung des NSU über weitere Spuren der türkische Mafia in die Schweiz berichtet haben. Ich habe das Gefühl, hier wird teilweise einer Sensation nach der anderen hinterher gerannt.
Wie schätzen Sie die Arbeit der Untersuchungsausschüsse ein?
Mein Eindruck ist, dass die Untersuchungsausschüsse teilweise von falschen Annahmen ausgegangen sind. Sie haben zu einem frühen Zeitpunkt falsch eingeschätzt, wie offen sie mit Material von der Staatsanwaltschaft und von den Geheimdiensten versehen werden würden. Sie haben aus bestimmten Erwägungen beispielsweise verzichtet, alle V-Leute aus dem Umfeld des NSU zu vernehmen. Jetzt fällt ihnen auf, wie viele Fragen sie deswegen überhaupt nicht im Ansatz klären konnten. Die parlamentarische Kontrolle hat meiner Ansicht nach beim Thema NSU trotz der Untersuchungsausschüsse nicht wirklich stattgefunden.
Welcher Teilkomplex ist im Zusammenhang mit dem NSU am wenigsten beleuchtet? Wo gibt es noch die meisten Fragen?
Nach meiner Beobachtung ist der ganze Bereich der durchdringenden Beobachtung, also der Durchsetzung von Nazigruppierungen mit V-Leuten, Gewährsleuten und Ähnlichem durch Geheimdienste. Deren Einwirken, indem über die V-Leute Anstöße gegeben werden und gleichzeitig auch die Berichterstattung an den Dienst, die ja nachher Ausgangspunkt für politische Entscheidungen auch von Landesregierungen ist – das ist überhaupt noch nicht richtig durchdrungen.
Auch wenn wir weggehen von dem konkreten Fall des NSU: Welcher V-Mann war wo. Es wird überhaupt nicht in Frage gestellt, dass die Geheimdiensten V-Leute nicht nur rein als Mikrophone einsetzen, die ihnen berichten, sondern durch Zahlungen und Unterstützungen diese auch erst zu dominanten Personen in der Naziszene machen. Es ist überhaupt nicht erkennbar, inwieweit die Geheimdienste eigene Interessen durch ihre V-Leute umsetzen und damit in ihrem Sinne Einfluss auf Nazigruppierungen nehmen.
Gibt es etwas, das Hamburg in dem Themenkomplex auszeichnet? Warum ist Hamburg einer der am wenigsten beachteten Tatorte?
Das Besondere an dem Fall in Hamburg ist, dass wenn man sich die Ermittlungsakten ansieht, der Fall Hamburg fast die wenigsten und geringsten Verbindungspunkte hat: Sei es zum NSU, zu Unterstützern, zu anderen Themen. Er passt da nur schwer rein und es ist offensichtlich bei den Ermittlungen in Hamburg noch weniger gelungen irgendetwas herauszufinden. Das passt umso weniger, weil wir wissen, dass politische und personelle Verbindungen der Naziszene, in der sich die Mitglieder des NSU bewegt haben nach Hamburg bestanden – und zwar sehr stark bestanden. Es ist einfach gar nicht plausibel, dass hier nichts weiter in Erfahrung zu bringen gewesen sein soll.
Was ist denn bisher über die Naziverbindungen nach Hamburg zu sagen?
Was klar erkennbar ist: Im Zeitraum der NSU-Morde und auch vorher waren Personen aus Hamburg in der bundesweiten militanten Neonaziszene federführend und haben von Hamburg aus auch in die Bundesländer, in denen NSU-Mitglieder aktiv waren, also Thüringen, Sachsen, teilweise auch Niedersachsen, hinein gewirkt. Es gab immer die Größen der Naziszene wie Jürgen Rieger, wie Christian Worch, aber auch Mitglieder von Blood&Honour, die bundesweit Politik gemacht und Aktivitäten entfaltet haben, die auch bis nach Thüringen durchgeschlagen haben. Es gab da Verbindungen – aus den Ermittlungsakten ist darüber praktisch nichts zu erfahren.
Wie nehmen Sie den die momentanen Aufklärungsbemühungen der Hamburger Behörden wahr?
Der Hamburger Senat und der Hamburger Verfassungsschutz verweigern sich jeder Aufklärung – es sieht so aus, als hätten sie etwas zu verbergen.
Wäre ein Untersuchungsausschuss angebracht?
Ich bin überzeugt, dass ein Untersuchungsausschuss auch in Hamburg notwendig wäre und gegebenenfalls zu weiterer Aufklärung beitragen könnte.