NSU-TATORT HAMBURG – PODIUMSDISKUSSION IN DER W3 – 6. JULI

13 Jahre nach dem Mord an Süleyman Taşköprü in der Schützenstraße in Hamburg-Bahrenfeld, zweineinhalb Jahre nach dem Auffliegen der Täter und ein Jahr nach Beginn des Prozess in München gegen fünf Angeklagte ist es still geworden in Hamburg beim Thema Nationalsozialistischer Untergrund. Man könnte auch sagen, still geblieben, wenn es darum geht, Hamburg als NSU-Tatort zu benennen, die Geschehnisse aufzuarbeiten, Fehler einzuräumen und und die nötigen weitgreifenden Veränderungen vorzunehmen. Wo Aufklärung versichert wurde, stoßen alle Fragen auf taube Ohren und abwiegelnde Antworten.

Auch bezüglich neuer Entwicklungen wie dem Auftauchen einer CD mit der Aufschrift NSDAP/NSU ausgerechnet in Hamburg, bleiben die Behörden bei ihrer bisherigen Strategie des Mauerns. Dass trotzdem von Verbindungen nach Hamburg ausgegangen werden kann und welche das sein könnten, soll gemeinsam mit Gül Pinar (Nebenklagevertreterin der Familie Taşköprü), Christiane Schneider (Linksfraktion Hamburg) und Martina Renner (ehemals Angehörige des Thüringer Untersuchungsausschuss zu NSU, jetzt für die Linke im Bundestag) diskutiert werden.

In Zusammenarbeit mit der Rosa Luxemburg Stiftung Hamburg

Wann: 6. Juli 2014, 19:30

Wo: W3, Nernstweg 32 – 34, 22765 Hamburg

EINE STRAßENUMBENENNUNG KANN AUFKLÄRUNG NICHT ERSETZEN

Am 27. Juni 2001 wurde Süleyman Taşköprü in Hamburg vom rechtsterroristischen Netzwerk „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) ermordet. 13 Jahre später wird nun eine Straße nach ihm benannt. Auch wir gedenken heute Süleyman Taşköprüs und begrüßen ein dauerhaftes Andenken an ihn in Form einer Straßenumbenennung. Allerdings wurde dafür nicht die Schützenstraße, in der er in seinem Geschäft ermordet wurde, ausgewählt, sondern eine Parallelstraße, die Kohlentwiete. Eine weitestgehend unbewohnte Straße durch eine Brachfläche, abseits vom Publikumsverkehr. Als Grund der Nicht-Umbenennung der Schützenstraße wurde eine Gesetzeslage bemüht, nach der historische Straßen in Hamburg nicht mehr umbenannt werden dürften. Was für den Hamburger Unternehmer Werner Otto im August 2013 möglich war, die Umbenennung der Wandsbeker Straße in Werner-Otto-Straße, soll für Süleyman Taşköprü nicht gelten.

Die Stadt Hamburg brüstet sich öffentlich, die erste Stadt zu sein, die eine Straße nach einem NSU-Opfer umbenennt. Dass es einen Platz in Kassel gibt, der nach dem dort vom NSU ermordeten Halit Yozgat benannt ist, wird dabei vergessen.
Als der NSU 2011 bekannt wurde, gab es von offizieller Hamburger Seite das Versprechen einer lückenlosen Aufklärung. Knapp drei Jahre später steht fest, dass sich die verantwortlichen Behörden – Polizei, Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft – gegen jegliche Aufklärungsbemühungen sperren. Die offizielle Variante: In Hamburg ist im Grunde alles in Ordnung.

Bei näherer Betrachtung gibt es jedoch wesentliche Punkte, die einer Aufarbeitung bedürfen.
Wie bundesweit, so sind auch für die Hamburger Polizei einseitige Ermittlungen zu konstatieren, die auf institutionellen Rassismus schließen lassen. Ermittelt wurde in Hamburg, trotz mehrerer Hinweise durch ZeugInnenaussagen auf einen rassistischen Hintergrund, stets nur in Richtung organisierter Kriminalität. Für die Versicherung des Hamburger LKAs, man habe den Ermittlungsansatz „neonazistischer Hintergrund“ akribisch bearbeitet, finden sich in den Akten der damaligen Ermittlungen keinerlei Belege. 2003 stellte die Hamburger Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein und blieb bis 2005 dabei, obwohl die Serie sich fortsetzte. In der dann gegründeten bundesweiten Ermittlungsgruppe BAO Bosporus intervenierten Hamburger ErmittlerInnen und widersprachen vehement einer Fallanalyse, die einen rassistischen Hintergrund in Betracht zog. So wurde dieser Ansatz nie öffentlich gemacht.

Führende Hamburger Neonazis waren Anfang der 1990er Jahre prägend für den Aufbau neonazistischer und rechtsterroristischer Strukturen auch in Ostdeutschland und verfügten über hervorragende Kontakte nach Thüringen. Aussagen gehen sogar soweit, dass dortige Aktionen aus Hamburg gesteuert wurden. Auch persönliche Begegnungen mit Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe können inzwischen als belegt gelten. Glaubt man dem Hamburger Verfassungsschutz, dass er an dieser Szene sehr nah dran gewesen sei und dies auch noch ist, dann wurden die entscheidenden Informationen entweder verpasst oder bis heute zurückgehalten.

Im Mai wurde öffentlich bekannt, dass dem Hamburger Verfassungsschutz durch einen V-Mann eine CD mit der Aufschrift „NSU/NSDAP“ übergeben wurde. Weitere Informationen verweigert das LfV Hamburg. Quellenschutz geht über Aufklärung.
Aysen Taşköprü, eine Schwester des Mordopfers, fordert in ihrem offenen Brief an Bundespräsident Gauck Antworten, das sei alles was sie noch wolle. Genau diesen Wunsch verweigern ihr die Hamburger Behörden konsequent. In Ausschusssitzungen werden jene, die diese Antworten versuchen zu finden, gar verlacht.

Ganz klar muss sein: Für Hamburg gibt es noch viel aufzuklären. Eine Straße ersetzt diese Aufklärung nicht. Es darf kein Schlussstrich gezogen werden. Richtig ist dagegen die Forderung der NebenklagevertreterInnen der Familie Taşköprü nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Hamburg. Was in Hessen und Nordrhein-Westphalen möglich ist, muss auch in Hamburg auf die Tagesordnung.

Hamburger Bündnis gegen Rechts
Radiosendung (FSK) „Ein Prozess – Ein Land – Keine Gesellschaft – Viel NSU“, Vorbereitungsgruppe der Veranstaltungsreihe „Vom rassistischen Normalzustand zum Nationalsozialistischen Untergrund“
Internetprojekt http://nsu-tatort-hamburg.org

„ES SIEHT SO AUS, ALS HÄTTEN SIE ETWAS ZU VERBERGEN.“ Interview mit Alexander Hoffmann, Nebenklagevertreter einer Betroffenen des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße.

Wie sind Sie Nebenkläger im NSU-Prozess geworden?

Ich bin seit 1998 Rechtsanwalt und habe von Anfang an regelmäßig Nebenklagen bei Straftaten mit rassistischem oder faschistischem Hintergrund gemacht. Dadurch habe ich Kontakte nach Köln und dann auch zu meiner Mandantin bekommen.

Wie gestaltet sich Ihre Arbeit? Welche Schwierigkeiten und Besonderheiten gibt es?

Es sind die Besonderheiten eines Staatsschutzverfahrens beim Oberlandesgericht. Wir haben einen enormen Umfang des Verfahrens und der Verfahrensakte – trotzdem haben wir ganz viele Akten, die beispielsweise den Untersuchungsausschüssen vorlagen, überhaupt nicht. Es gibt viele Akten, die immer noch geheim sind und noch gar nicht vorlagen. Es ist natürlich ein immenser Aufwand, sich in diesem Wust einzuarbeiten.
Das zweite und größte Problem ist, dass wir eine Anklage haben, die offensichtlich vom Konzept her ein oder zwei Monate nach dem Auffliegen des NSU mit einer klaren politischen Vorgabe gemacht worden ist. Nämlich den NSU so klein wie möglich zu halten und alle Verbindungen zu anderen politischen Strukturen, Netzwerken usw. herauszuhalten. Die Annahme der Bundesanwaltschaft ist, dass der NSU nur aus den zwei Toten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos plus Beate Zschäpe bestanden haben darf. Alle anderen Personen, denen man eindeutig Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem NSU und den vom NSU begangenen Morden nachweisen kann, dürfen nur Unterstützer sein. Das Gericht hat diese Anklage zugelassen und das heißt, dass wir in der Hauptverhandlung an diese Vorgaben gebunden sind. Das ist natürlich ein sehr großes Problem für uns.

Sehen Sie die Aufgabe als rein juristische oder ist das auch eine politische Tätigkeit?

Den Aufwand einer Nebenklage in so einem Verfahren macht man nur, wenn man mit der Vertretung der Interessen der Nebenkläger mehr als nur den Strafprozess selbst verbindet.
Es geht hier darum, eine Mordserie von Neonazis, die vor den Augen des Staates, zum Teil sogar unter Mithilfe von V-Leuten, aufzuklären. Es geht darum aufzuklären, warum Polizei, Verfassungsämter und andere Ämter hier nicht ermitteln wollten beziehungsweise mit aller Macht gegen die Opfer ermittelt haben – das sind politische Fragen, in denen der Strafprozess ein Werkzeug ist.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den anderen VertreterInnen der Nebenklage?

Das ist naturgemäß nicht ganz einfach. Es sind sehr viele Nebenkläger, die alle andere Interessen haben. Unsere Arbeit als Nebenklagevertreter ist natürlich an den Willen und die Vorgaben unserer Mandanten gebunden und deswegen gibt es sehr viele verschiedene, zum Teil auch gegeneinander laufende, Interessen. Wir tun unser Bestes, das miteinander abzugleichen und bisher ist das ganz gut gelungen.

Was ist Ihre Hauptforderung, was gilt es in diesem Prozess herauszuarbeiten?

Das Hauptinteresse meiner Mandantin ist, zu verhindern, dass dieser Prozess von der Bundesanwaltschaft und anderen staatlichen Stellen dazu benutzt wird, einen Schlussstrich zu ziehen und ein Symbol zu setzen, mit dem behauptet werden könnte, die Angelegenheit ist jetzt aufgearbeitet. Meine Mandantin will auf jeden Fall klarstellen, dass dieser Prozess die Problematik nicht beendet und das die eigentliche Aufklärungs- und Ermittlungsarbeit erst noch ansteht.

Kann der Prozess diese Forderung erfüllen?

Ich bin mir sicher, dass es möglich ist und möglich sein wird, in diesem Prozess jedenfalls zu verhindern, dass hier Geschichte verfälscht wird. Ich glaube auch, dass es in diesem Prozess möglich ist, die wichtigen Fragen zu stellen und in den Mittelpunkt zu rücken. Inwiefern wir auf unsere Fragen auch Antworten bekommen werden, ist zweifelhaft. Aber wenn man im Kopf hat, dass mit diesem Prozess die Aufklärung noch nicht beendet sein darf, dann kann der Prozess eine wichtige Rolle spielen.

Hat das relativ große mediale Interesse an diesem Prozess einen Einfluss auf Ihre Arbeit?

Das mediale Interesse hat einen Einfluss auf unsere Möglichkeiten, macht Druck auf das Gericht und die Bundesanwaltschaft und deswegen ist auch so wichtig, dass weiterhin öffentliches Interesse da ist, dass dafür gekämpft wird und dass weiterhin Öffentlichkeitsarbeit gemacht wird. Wenn das mediale Interesse erheblich nachlässt, könnte dieser Prozess, egal was wir auch als Nebenklagevertreter machen, schnell beendet und ein Schlussstrich gezogen werden.

Wie schätzen Sie die Aussagen der Angehörigen der Behörden ein?

Die Polizeizeugen, die direkt nach den Taten die Ermittlungen übernommen haben, bleiben im wesentlichen bei Ihren Angaben. Sie stellen dar, warum sie meinen, gute Gründe gehabt zu haben, rassistische Ermittlungen gegen die Opfer durchzuführen. Sie stellen dar, sie hätten ihr Bestes gegeben. Das ist zu Teil sehr unappetitlich und sehr unschön. Es gab bisher noch keine Entschuldigung von irgendeinem der Beamten, die damals ermittelt haben.
Die Polizeibeamten, die nach Aufdeckung des NSU, also im wesentlichen vom Bundeskriminalamt, die Ermittlungen übernommen haben, wissen, dass sie hier besonders im Blick der Öffentlichkeit stehen. Diejenigen, die heute noch beim Bundeskriminalamt arbeiten, kommen meistens sehr gut vorbereitet. Andere, die mittlerweile in anderen Dienststellen sind, haben diese Möglichkeiten nicht und machen zum Teil einen ziemlich erbärmlichen Eindruck. Die gut vorbereiteten Polizeibeamten erzählen das, von dem sie ausgehen, dass es die Bundesanwaltschaft und das Gericht hören wollen. Der Gesamteindruck der Polizeizeugen ist keine besonders guter – es wird deutlich, dass zunächst versucht worden ist, die Sache gegen die Angehörigen oder das Umfeld zu wenden. Die deutsche Polizei konnte sich gar nicht vorstellen, dass es rassistisch motivierte Straftaten waren und hat deswegen in diese Richtung auch nicht gearbeitet.
Wenn doch mal jemand so etwas in den Raum geworfen hat, ist es schnell abgewürgt worden. Die Polizeibeamten, die nach dem November 2011 die Ermittlungen übernommen haben, haben von Anfang an ganz klar ihren Auftrag gesehen, hier eine drei Personen Terrorgruppe nachzuweisen und alle Anderen nur als Helfer oder Unwissende darzustellen.

Wie schätzen Sie die Aussagen der ZeugInnen aus der unterstützenden Naziszene ein?

Das sind ja teilweise Zuträger für die Geheimdienste, teilweise sind es Neonazis: Die versuchen natürlich so wenig wie möglich zu sagen, die lügen, die schweigen, die verschweigen, die verstellen sich. Das wird ihnen im Prozess auch relativ leicht gemacht. Es ist sehr schwierig, Zeugen die auch ein Eigeninteresse haben, nichts zu sagen, nicht die Wahrheit zu sagen, dazu zu bringen, offene Angaben zu machen. Man kann davon ausgehen, dass die ganzen Zeugen aus der Naziszene im wesentlichen versuchen, sich selbst und ihre Umgebung aus der Sache heraus zu halten.

Wie schätzen Sie den weiteren Verlauf des Prozesses ein?

Ich nehme an, bis zum ersten Viertel des Jahres 2015 wird es dauern. Wir haben im ganz normalen Programm noch einiges aufzuarbeiten. Wir sind mit der Frage Struktur der terroristischen Vereinigung NSU noch nicht weiter. Wir haben noch nicht erörtert, woher die Waffen kommen konnten und wer sie noch weiter unterstützt hat. Wir versuchen als Nebenklage darüber viel mehr Aufklärung zu bewirken, indem wir Beweisanträge stellen, Personen aus dem Umfeld von Blood&Honour und anderen Organisationen mit denen NSU-Mitglieder verstrickt waren, zu hören. Wir versuchen zu erreichen, dass alle V-Leute aus der Umgebung des Unterstützerkreises des NSU vernommen werden. Inwieweit wir erfolgreich sein werden, ist noch nicht abzusehen.

Was hat Sie im Prozess bisher am meisten bewegt?

Am meisten bewegt hat mich tatsächlich, zu sehen, wie die wenigen Nebenkläger, also Angehörige von Ermordeten, versuchen ihren Platz im Prozess einzunehmen und wie schwer ihnen das doch fällt, angesichts der vermutlich notwendigen, aber doch bedrückenden Inszenierung eines Strafprozesses. Das waren schon bewegende Momente.

Ist die Anklageschrift weit genug gefasst, um eine Aufklärung im Themenkomplex NSU leisten zu können? Und ist Aufklärung jenseits von Verurteilungen überhaupt das Ziel?

Aus Sicht der Anklagebehörde ist es nicht Aufgabe des Prozesses, den NSU vollständig aufzuklären, sondern Aufgabe des Prozesses ist es, die Angeklagten zu verurteilen. Das ist grundsätzlich richtig, wobei man sich fragen kann, warum sind diejenigen, die heute hier sitzen angeklagt und andere nicht. Ich halte in einem Prozess der als Jahrhundertprozess in die Geschichte der BRD eingehen wird, diese Idee einer Anklage für falsch. Es wäre zwingend gewesen, sie weiter zu fassen und in die Anklage die wesentlichen Mitglieder und Beteiligten aufzunehmen. Das hätte vielleicht bedeutet, dass der Prozess erst etwas später begonnen hätte aber so wie es gemacht worden ist, ist es eine nicht zulässige Verengung der Tatvorwürfe und der Beschuldigten auf nur sehr wenige. Es ist der Versuch, in der Öffentlichkeit zu verbreiten, das seien nur ganz wenige und eine abgeschlossen Gruppe gewesen und davon abzulenken, dass diese Leute hier Teil eines bundesweit agierenden Netzwerkes waren und es noch zahlreiche andere Nazis gibt, die mit ihren Strukturen genau dort weiter machen könnten wo der NSU angefangen hat.

Hatten die Ermittlungen vor der Selbstaufdeckung des NSU einen Charakter, den man als institutionellen Rassismus bezeichnen kann?

Ich glaube es ist richtig, festzustellen, dass die Institutionen der Strafverfolgung von ihrem Selbstverständnis, von ihrer Organisation, von ihren Grundstrukturen her Rassismus reproduzieren. Man kann relativ gut darlegen, dass diese Ermittlungen insgesamt von institutionellem Rassismus geprägt waren. Das heißt: Es waren rassistische Ermittlungen, auch wenn die einzelnen Polizeibeamten selbst keine rassistischen Vorurteile hatten. Das ist etwas, was oft auch, manchmal bewusst, manchmal unbewusst, missverstanden wird, wenn wir von institutionellem Rassismus sprechen. Die Art und Weise, wie Polizei und Staatsanwaltschaft im Allgemeinen ermitteln, wenn es um Straftaten zum Nachteil von nicht-deutschen oder deutschen mit migrantischem Hintergrund geht, reproduziert Vorurteile, die da sind und die die Teil der Ermittlungsprinzipien geworden sind. Das ist auch hier geschehen.

Wie beurteilen Sie den medialen und politischen Diskurs zum Thema NSU in Deutschland?

Bezüglich der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse gibt es zum Teil zentrale Personen in diesen Ausschüssen, die sagen, es ist falsch, dass die Ausschüsse beendet sind. Wir haben aber eine politische Erklärung, nicht nur der Regierung, sondern auch von anderen politischen Größen und Parteien, die so tun als wäre da Ganze abgeschlossen und aufgeklärt.
Der Mediendiskurs kommt mir zum Teil verlogen vor. Wir wollen nicht vergessen, dass zahlreiche große Medien, die jetzt teilweise kritisch berichten, noch eine Woche vor der Selbstaufdeckung des NSU über weitere Spuren der türkische Mafia in die Schweiz berichtet haben. Ich habe das Gefühl, hier wird teilweise einer Sensation nach der anderen hinterher gerannt.

Wie schätzen Sie die Arbeit der Untersuchungsausschüsse ein?

Mein Eindruck ist, dass die Untersuchungsausschüsse teilweise von falschen Annahmen ausgegangen sind. Sie haben zu einem frühen Zeitpunkt falsch eingeschätzt, wie offen sie mit Material von der Staatsanwaltschaft und von den Geheimdiensten versehen werden würden. Sie haben aus bestimmten Erwägungen beispielsweise verzichtet, alle V-Leute aus dem Umfeld des NSU zu vernehmen. Jetzt fällt ihnen auf, wie viele Fragen sie deswegen überhaupt nicht im Ansatz klären konnten. Die parlamentarische Kontrolle hat meiner Ansicht nach beim Thema NSU trotz der Untersuchungsausschüsse nicht wirklich stattgefunden.

Welcher Teilkomplex ist im Zusammenhang mit dem NSU am wenigsten beleuchtet? Wo gibt es noch die meisten Fragen?

Nach meiner Beobachtung ist der ganze Bereich der durchdringenden Beobachtung, also der Durchsetzung von Nazigruppierungen mit V-Leuten, Gewährsleuten und Ähnlichem durch Geheimdienste. Deren Einwirken, indem über die V-Leute Anstöße gegeben werden und gleichzeitig auch die Berichterstattung an den Dienst, die ja nachher Ausgangspunkt für politische Entscheidungen auch von Landesregierungen ist – das ist überhaupt noch nicht richtig durchdrungen.
Auch wenn wir weggehen von dem konkreten Fall des NSU: Welcher V-Mann war wo. Es wird überhaupt nicht in Frage gestellt, dass die Geheimdiensten V-Leute nicht nur rein als Mikrophone einsetzen, die ihnen berichten, sondern durch Zahlungen und Unterstützungen diese auch erst zu dominanten Personen in der Naziszene machen. Es ist überhaupt nicht erkennbar, inwieweit die Geheimdienste eigene Interessen durch ihre V-Leute umsetzen und damit in ihrem Sinne Einfluss auf Nazigruppierungen nehmen.

Gibt es etwas, das Hamburg in dem Themenkomplex auszeichnet? Warum ist Hamburg einer der am wenigsten beachteten Tatorte?

Das Besondere an dem Fall in Hamburg ist, dass wenn man sich die Ermittlungsakten ansieht, der Fall Hamburg fast die wenigsten und geringsten Verbindungspunkte hat: Sei es zum NSU, zu Unterstützern, zu anderen Themen. Er passt da nur schwer rein und es ist offensichtlich bei den Ermittlungen in Hamburg noch weniger gelungen irgendetwas herauszufinden. Das passt umso weniger, weil wir wissen, dass politische und personelle Verbindungen der Naziszene, in der sich die Mitglieder des NSU bewegt haben nach Hamburg bestanden – und zwar sehr stark bestanden. Es ist einfach gar nicht plausibel, dass hier nichts weiter in Erfahrung zu bringen gewesen sein soll.

Was ist denn bisher über die Naziverbindungen nach Hamburg zu sagen?

Was klar erkennbar ist: Im Zeitraum der NSU-Morde und auch vorher waren Personen aus Hamburg in der bundesweiten militanten Neonaziszene federführend und haben von Hamburg aus auch in die Bundesländer, in denen NSU-Mitglieder aktiv waren, also Thüringen, Sachsen, teilweise auch Niedersachsen, hinein gewirkt. Es gab immer die Größen der Naziszene wie Jürgen Rieger, wie Christian Worch, aber auch Mitglieder von Blood&Honour, die bundesweit Politik gemacht und Aktivitäten entfaltet haben, die auch bis nach Thüringen durchgeschlagen haben. Es gab da Verbindungen – aus den Ermittlungsakten ist darüber praktisch nichts zu erfahren.

Wie nehmen Sie den die momentanen Aufklärungsbemühungen der Hamburger Behörden wahr?

Der Hamburger Senat und der Hamburger Verfassungsschutz verweigern sich jeder Aufklärung – es sieht so aus, als hätten sie etwas zu verbergen.

Wäre ein Untersuchungsausschuss angebracht?

Ich bin überzeugt, dass ein Untersuchungsausschuss auch in Hamburg notwendig wäre und gegebenenfalls zu weiterer Aufklärung beitragen könnte.

„EIN AUFKLÄRUNGSINTERESSE IST IN HAMBURG NICHT WAHRNEHMBAR.“ Interview mit Thomas Bliwier und Alexander Kienzle, Nebenklage-Vertreter der Familie Yozgat.

Wie gestaltet sich Ihre Arbeit im Prozess?

Alexander Kienzle: Wir sitzen als Vertreter der Familie Yozgat drei Tage die Woche in Saal 101 des Oberlandesgericht München und nehmen an der Verhandlung teil. Wir haben den besonderen Komplex in Kassel, dass nicht nur der Mordfall des NSU im Internetkaffee der Yozgats zur Verhandlung steht, sondern es darüber hinaus auch immer wieder um die Anwesenheit des Verfassungsschützers Temme am Tatort geht. Da der Generalbundesanwalt diesen Komplex in diesem Verfahren weitgehend außen vor halten will, ist es letztlich unsere Aufgabe, über Anträge und Zeugenbefragungen darauf hin zu wirken, dass auch dies zum dortigen Verfahrensgegenstand wird.

Sehen Sie Ihre Aufgabe beim Prozess auch als politische an?

Thomas Bliwier: Das ist natürlich auch eine politische Aufgabe. Gerade weil die Prozessführung durch die Bundesanwaltschaft auch politisch ist. Die Bundesanwaltschaft will um keinen Preis, dass die Rolle des Verfassungsschutzes thematisiert wird. Sie will auch nicht, dass staatliches Versagen der Sicherheitsbehörden thematisiert wird. Mitverschulden beispielsweise durch NSU-nahe V-Leute.
Die Öffentlichkeit hat aber einen Anspruch darauf, dass diese Themen besprochen werden und die Familie Yozgat nimmt auch an dem Prozess teil, um das da zu thematisieren.

Was sind Ihre Hauptforderungen oder Hauptziele? Was gilt es, herauszuarbeiten?

Bliwier: Es fängt an mit dem Aufbau des NSU durch den Verfassungsschutz Thüringen. Stichworte: V-Mann Tino Brandt, seine Rolle beim NSU, die Frage des Versagens des Verfassungsschutzes in Thüringen. Warum ist keine Festnahmen erfolgt, warum hat man den Haftbefehl nicht vollstreckt? Welche Rolle spielt das Landesamt Hessen? Welche Akten sind dort noch vorhanden? Warum werden bestimmte Akten nicht freigegeben? Das sind Fragen, deren Antwort ein Ziel darstellen könnten.

Welchen Einfluss hat die mediale Aufmerksamkeit, die insbesondere dem Kasseler Fall gilt, auf Ihre Arbeit?

Kienzle: Dass in diesem Verfahren ein besonderer Blick der Öffentlichkeit auf dem Strafprozess liegt, das war uns von Anfang an ein Anliegen.

Bliwier: Das ist natürlich auch eine Hilfe. Der Umstand, dass die Öffentlichkeit die gleichen Fragen hat, wie wir sie formulieren und dass es sehr kritisch beobachtet wird, wie das Gericht damit umgeht.

Wie schätzen Sie den weiteren Verlauf des Prozesses ein? Auch bezüglich der Aufklärung?

Kienzle: Wenn sich an den Eingangsvoraussetzungen nichts ändert, wenn Frau Zschäpe weiter schweigt, wenn Wohlleben weiter schweigt, dann wird das sicher noch eine ganze Weile dauern. Man muss aber wider das anfängliche Erwarten sagen, dass die Aufklärung beim Kasseler Komplex aus unserer Sicht tatsächlich vorankommt, da kann man eine positive Zwischenbilanz ziehen. Wir kriegen vom Senat diejenigen Verfassungsschützer als Zeugen in die Hauptverhandlung geladen, die aus unserer Sicht eine Rolle spielen. Der Senat kommt unseren Beweisanträgen, wohlgemerkt gegen den Willen des Generalbundesanwalts, bisher nach. Das mag, was die Helferstrukturen und das Umfeld des NSU angeht, im Moment noch anders aussehen, auch da muss man aber sagen, ist der Senat bisher offen gewesen für Beweisanträge und Beweisanregungen. Das Verfahren vielem gerecht, was wir davon erwarten.

Bliwier: Wir haben die Kontroverse nicht zwischen Gericht und Nebenklage. Sondern es ist ganz offenkundig, dass das Gericht bemüht ist, beispielsweise die Anfänge des NSU mit aufzuklären. Das Gericht hat Tino Brandt zu Vernehmung geladen. Er war beteiligt an den politischen Diskussionen zu den Anfängen des NSU. Kritik muss man an der Bundesanwaltschaft üben.

Was ist die bisherige Faktenlage zum Mord an Halit Yozgat?

Kienzle: Es ist nichts passiert, von dem man sagen kann, da muss man jetzt eine ganz andere Sicht auf das Verfahren haben. Was noch bleibt, ist die Rolle von Temme, der mal Beschuldigter war, der zum Tatzeitpunkt da war, der sagt, er habe nichts gesehen. Das halten wir für nicht überzeugend. Auch nicht aufgeklärt ist, ob es im Landsamt Hinweise auf solche Taten gab. Welche Rolle spielt das Landesamt beim Aussageverhalten von Temme? Welche Akten werden zurückgehalten? Da sind eine Menge Fragen offen. Alle Akten gehören auf den Tisch, alle Zeugen müssen vernommen werden, damit man sich sein Bild machen kann.

Wie nehmen Ihre Mandanten den Prozess wahr?

Bliwier: Die Mandanten nehmen regen Anteil. Sie können nicht jeden Tag anreisen, das geht aus finanziellen Gründen nicht, aber sie kommen immer, wenn der Kasseler Fall dran ist. Sie nehmen aktiv teil an der Hauptverhandlung, sowohl Herr als auch Frau Yozgat haben schon im Verfahren Stellungnahmen abgegeben, Herr Yozgat hat Herrn Temme befragt. Diese Befragung war eine Situation, von der wir gesagt haben: So stellen wir uns das vor. Ich glaube, durch die zahlreichen Anträge, die wir gestellt haben, haben wir eine Situation, in der die Mandanten das, bei allem, was der Mord ihnen bedeutet, gegenwärtig positiv betrachten.

Kienzle: Es gab seit dem Jahr 2007, als das Strafverfahren gegen Herrn Temme durch die Staatsanwaltschaft Kassel eingestellt wurde, einen großen Zweifel daran gab, ob diese Einstellung richtig war. Es gibt hervorragende Gründe, diesem Mann nicht zu glauben, das haben wir in der Hauptverhandlung wiederholt durch Anträge unter Beweis gestellt, das hat sich aus einem Video ergeben, in dem sich die Polizei eine Tatortrekonstruktion erarbeitet hat. Da sah man ganz offenkundig, dass es da keinen Aufklärungswillen gab. Das tut der Familie sehr gut zu sehen, dass genau diesen Ansätzen, diesen Spuren jetzt nachgegangen wird. Dass sie dann auch noch selber Einfluss nehmen können, durch Erklärungen oder eine unmittelbare Befragung von Herrn Temme, das ist ein Stück weit eine Genugtuung.

Bliwier: Es wird auch klar, wie stark das die Familie beeinträchtigt hat. Sie haben gesagt: Jeder hat gedacht, wir haben mit der Sache was zu tun, wenn wir über die Straße gingen und in der türkischen Gemeinde haben sie uns komisch angeguckt, weil sie gedacht haben, wenn die Polizei ermittelt, dann wird da schon was dran sein. Dass das jetzt in der Öffentlichkeit klar gestellt ist, das ist auch ein wichtiger Aspekt.

Was hat Sie während des Prozess am meisten bewegt?

Bliwier: Das Eine sind natürlich die Stellungnahmen der Familie. Wenn Herr Yozgat Stellung nimmt und im Gerichtssaal demonstriert, wie er seinen Sohn gefunden hat, das ist schwer auszuhalten, auch wenn man das als Anwalt versucht, professionell zu sehen. Das Andere, das ist diese unglaubliche Brutalität der Taten, das ist ein Unterschied, ob man das in den Akten liest oder das auf Lichtbildern in der Hauptverhandlung sieht und damit diese widerwärtige Ideologie dahinter und dieser absolute Vernichtungswille. Es reicht eben nicht, jemanden zu töten, sondern, man muss ihm mehrfach ins Gesicht schießen. Das ist in der Begehung der Taten so widerwärtig, dass man es nicht mehr aushalten kann.

Kienzle: Ich würde für mich noch einen Aspekt hinzufügen, das war der Moment, als wir das Bekennervideo in diesem Hauptverhandlungssaal gesehen haben. Auch da ist es etwas anderes, ob man das in seinem Büro auf dem Rechner klein und relativ leise guckt und das dann gedanklich den Taten zuordnet. Oder ob das überlebensgroß über den Verfahrensbeteiligten auf den Videoleinwänden erscheint. Und man diesen gesamten Zynismus, diese Menschenverachtung überlebensgroß an der Wand sieht. Sich das dann anschauen muss, und dabei eben auch zur Kenntnis nehmen muss, dass das teilweise überhaupt keine Reaktionen provoziert bei bestimmten Angeklagten.

Hatten die Ermittlungen einen Charakter, der als institutioneller Rassismus bezeichnet werden könnte?

Bliwier: Also eigentlich ist es noch viel schlimmer. Der Verfassungsschutz hatte praktisch alles über den NSU. Man hatte V-Leute dabei, man wusste über die regelmäßigen Berichte damals, dass der eine Angeklagte jetzt im Münchener Verfahren zum Trio Kontakt hatte. Man hat Herrn Wohlleben observiert, man wusste, dass er Verbindung dahin hatte, Tino Brandt hatte offenkundig Verbindungen dahin. Wenn das alles nicht reicht, um entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, das ist schon genauso merkwürdig, wie der Umstand, wenn türkische Gemüsehändler, Griechen oder Türken umgebracht werden, können es ja nur Türken gewesen sein. Die Borniertheit ist auch deutlich geworden, gerade beim Kasseler Fall. Herr Yozgat hat schnell nach der Tat Kontakt mit einem türkischen Polizeibeamten in Kassel gesucht, und dem gesagt, er hätte rumgefragt in der türkischen Gemeinde, man schließe aus, dass es jemand von denen gewesen sei, und man vermute einen rechtsradikalen Hintergrund. Das hat die Polizei gar nicht interessiert. Das ist institutionell, dass man sich auf der einen Seite nicht vorstellen konnte, dass es Geheimdienste sind, die das unterstützen, das sollte man eigentlich nach dem Celler Loch auch besser wissen. Zum Anderen konnte man sich nicht vorstellen, dass rechtsradikale Nazibanden morden, dass man das so beharrlich übersieht, das hat etwas mit den Institutionen zu tun.

Wie beurteilen Sie den bundesweiten medialen und politischen Kurs zum Thema?

Bliwier: Bei so einem Verfahren sind schon unglaublich viele Details vorher berichtet worden. Dann passiert natürlich in so einem Prozess nicht so unheimlich viel, weil der Prozess darin besteht, die Beweislage, die die Bundesanwaltschaft zusammengetragen hat, im Prozess reproduzieren. Medieninteresse ist nach wie vor relativ groß und das ist gut.

Kienzle: Die Medien wirken tatkräftig daran mit, dass es öffentlich eine weitere Verbreitung dieser Thematik gibt, die über die politische Aufarbeitung im Internet hinaus geht. Auf der anderen Seite muss man die mediale Berichterstattung unterteilen in die Zeit vor 2011 und die Zeit danach. Das Unwort der „Dönermorde“, das hat auch keiner von uns mitbekommen. Da haben einfach die Medien Mitschuld, dass es den institutionellen Rassismus, von dem wir gerade gesprochen haben, in der Form geben konnte.

Wie schätzen Sie die Arbeit der Untersuchungsausschüsse ein?

Bliwier: Hessen hat allen Grund, da einen Untersuchungsausschuss ins Leben zu rufen. Wir haben einfach im Strafprozess bestimmte Möglichkeiten nicht. Man muss vor einem Untersuchungsausschuss Herrn Bouffier laden. Der wird einiges zu erklären haben. Den kriegen wir mit unseren Beweisantragsmitteln im Moment nicht in die Hauptverhandlung.
Da sind aber auch Dinge, die kann man im Prozess nachholen. Wir haben einen Beweisantrag gestellt beim Fall der Polizistin Kiesewetter, denn man hat aus unverständlichen Gründen nie recherchiert, ob die an Neonazieinsätzen beteiligt war. Wir haben herausgefunden, dass sie das war, da gibt es eine Einsatzliste. Da hätte man Zeugen vernehmen müssen, ob es Anzeigen gab, ob es ein Racheakt war.
Rechtsfrieden soll hergestellt werden, das heißt die Nebenkläger glauben, dass da möglichst viel aufgeklärt werden muss. Das soll der Prozess leisten. Was er nicht leisten muss, weil es die Verantwortung von Untersuchungsausschüssen ist, das die die Frage nach der politischen Verantwortung. Es geht um Strafrecht und um die Schuldfrage. Aber in diesem Rahmen muss Aufklärung geleistet werden, dass muss der Maßstab sein. Es kann nicht darauf ankommen, dass man zu viel macht, dass es nicht zügig voran geht. In diesem Prozess werden so viele Zeugen vernommen, die paar Zeugen, die wir haben wollen, die verzögern den Prozess wirklich nicht.

Wie beurteilen Sie das Aufklärungsinteresse in Hamburg und den medialen Diskurs zum Thema?

Bliwier: Null, also ich nehme ein Aufklärungsinteresse in Hamburg nicht wahr. Es ist nicht so, dass sich die Hamburger Medienlandschaft da groß hervorgetan hätte. Ich sehe das nicht, dass hier ein politischer Aufschrei durch die Hansestadt geht.

Kienzle: Hamburg ist eines der Bundesländer, die bisher keinen Untersuchungsausschuss haben. Andere haben sich der politischen Verantwortung gestellt und haben gesagt, wir veranstalten einen Untersuchungsausschuss, ob das nun immer sinnvoll war, was da gemacht wurde, das sei dahingestellt. Obwohl auch in Hamburg nicht in Richtung Rechtsradikalismus ermittelt wurde. Die Probleme in Hamburg sind ja identisch mit dem denen in anderen Bundesländern, wenn man davon absieht, dass die Tat hier am Anfang der Serie stand, so dass man unmittelbar nach der Tat nicht auf die Idee kam, da steckt ein fremdenfeindliches Motiv dahinter. Aber spätestens mit Fortschreiten der Serie wäre das auch eine Möglichkeit der Hamburger Ermittler gewesen, in diese Richtung zu gucken.

Bliwier: Es gibt ja eine Geschichte des Rechtsterror in Hamburg. Nazis wie Kühnen oder der ehemalige Rechtsanwalt Rieger. Das ist hier keine Insel der Glückseligen, auf der man nicht auf so eine Idee kommen kann. Das ist die Sache, dass das hier nicht gesehen wurde.

Was wissen Sie zu den Neonazi-Verbindungen nach Hamburg?

Kienzle: Ich halte alle diese Taten für unvorstellbar ohne lokale Unterstützer. Die Vorstellung, dass die drei alleine durch die Republik reisen, halte ich für ausgeschlossen. Es muss auch hier vor Ort entsprechende Unterstützer gegeben haben. Ein Netzwerk, ein Umfeld gegeben haben muss, das in irgendeiner Weise hier Beiträge zu der Tat geleistet haben muss.

„ES WIRD VERSUCHT, ALLE KRITISCHEN NACHFRAGEN DRAUßEN ZU HALTEN“ Interview mit Felix Krebs

Warum haben Sie sich dem Thema NSU angenommen? Warum halten Sie es für wichtig?

Ich bin Hamburger, da ergibt sich ein örtlicher Bezug. Ich mache seit Jahrzehnten antifaschistische Arbeit, damit war auch der inhaltliche Bezug da. Das Thema hat mich von Anfang an sehr stark berührt, ich habe die ganzen 90er und 2000er Jahre als aktiver politischer Beobachter miterlebt, und das war natürlich ein Schock, als diese Mordserie bekannt wurde und dass es auch einen Mordfall in Hamburg gegeben hat. Ich hab mich dann zunächst passiv damit beschäftigt – das heißt, ich habe das in den Medien intensiv verfolgt. Weiterlesen

„DIE GESELLSCHAFT LERNT NICHT GENUG DARAUS.“ Interview mit Christiane Schneider von der Fraktion der Linkspartei Hamburg.

Warum haben Sie sich des Themas NSU angenommen? Warum halten Sie es für wichtig?

Das war ein Schock. Über das totale Staatsversagen. Aber auch ein Schock über das eigene Versagen. Ich glaube da hat auch die Gesellschaft insgesamt versagt. Bis auf Teile der migrantischen Communities hat das niemand ernstlich in Zusammenhang gebracht.
Da habe ich die Notwendigkeit gesehen, das lückenlos aufzuarbeiten, wie es zu diesen Morden und diesem diesem schrecklichen Versagen kommen konnte. Das ist meine Triebkraft, das ist der Grund, warum ich das Thema in der Bürgerschaft immer wieder auf die Tagesordnung setze.

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DIE ERSTE APRILWOCHE IN MÜNCHEN: 100. Prozesstag und Geschichten aus dem Umfeld

Die erste Aprilwoche beginnt im Münchner Gerichtssaal A 101 mit dem 100. Prozesstag. Als Richter Götzl alle Beteiligten zu diesem Jubiläum begrüßt, ist auch die Presse zahlreich vertreten, um die Spezialseiten zu diesem Thema zu füllen. Dabei soll der Zeuge Bode zunächst lediglich einen Themenkomplex einordnen und der Zeuge Thomas R. sich jedes einzelne Wort durch Anstrengung der Richters abringen lassen, ein weniger wesentlicher Tag also.
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