Warum haben Sie sich dem Thema NSU angenommen? Warum halten Sie es für wichtig?
Ich bin Hamburger, da ergibt sich ein örtlicher Bezug. Ich mache seit Jahrzehnten antifaschistische Arbeit, damit war auch der inhaltliche Bezug da. Das Thema hat mich von Anfang an sehr stark berührt, ich habe die ganzen 90er und 2000er Jahre als aktiver politischer Beobachter miterlebt, und das war natürlich ein Schock, als diese Mordserie bekannt wurde und dass es auch einen Mordfall in Hamburg gegeben hat. Ich hab mich dann zunächst passiv damit beschäftigt – das heißt, ich habe das in den Medien intensiv verfolgt. Dann habe ich festgestellt, dass es in Hamburg nur wenige Personen oder Gruppierungen gab, die sich wirklich dezidiert politisch und intensiv mit der Aufarbeitung des Hamburger Mordfalls beschäftigen. Es gibt die juristische Ebene, die von Hamburger Anwältinnen und Anwälten beschritten wird. Es gibt die parlamentarische Ebene. Aber aus der eigentlichen Antifa-Szene heraus gibt es das weniger und das war für mich ein Grund, mich damit zu beschäftigen. So bin ich dazu gekommen, mich sehr intensiv mit dem Hamburger Mordfall, den Ermittlungen und der Aufarbeitung in Hamburg zu beschäftigen.
Wie gestaltet sich Ihre Arbeit? Welche Schwierigkeiten gibt es da?
Ich habe mich erst mal intensiv damit beschäftigt, was in den Untersuchungsausschüssen gelaufen ist, sofern das Hamburg betraf. Da gab Informationen, die auf Verbindungen nach Hamburg aus der Neonaziszene hinwiesen und zum Anderen gab es da auch ziemlich deutliche Hinweise darauf, wie die Arbeit der Ermittlungsbehörden hier in Hamburg gelaufen ist, von Polizei, Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft. Dazu habe ich kritische Beiträge verfasst. Eine wesentliche Schwierigkeit ist, dass es, anders als in anderen Bundesländern und im Bund, in Hamburg keinen richtigen Ort gegeben hat, um dieses Behördenversagen nachträglich aufzuarbeiten, weil es in Hamburg keinen Untersuchungsausschuss gegeben hat oder gibt.
Was gilt es herauszuarbeiten?
Aufzuarbeiten gilt es, wie die Behörden, bundesweit und in Hamburg gearbeitet haben, was sie alles nicht getan haben, wo sie weggeschaut haben, wo sie vielleicht sogar bestimmte Ermittlungsstränge nicht nur vernachlässigt haben, sondern aktiv unterdrückt haben. In diesem Zusammenhang halte ich nach wie vor für die wichtigste Frage, ob institutioneller Rassismus in den Behörden eine Rolle gespielt hat. Es sollte sich nie wieder wiederholen. Da sehe ich gleichzeitig die größten Schwierigkeiten drin. Es hat ein paar Sitzungen der Bürgerschaft und des Innenausschuss gegeben, es hat ein paar Anfragen von Abgeordneten zu diesem Komplex gegeben, aber das riesige Problem ist, dass diejenigen, die eigentlich für diese riesigen Fehler und Versäumnisse verantwortlich sind, gleichzeitig diese aufarbeiten sollen. Zudem fehlt es an einer politischen und parlamentarischen Kontrolle und das ist aberwitzig, sich davon eine fundierte Aufklärun zu erwarten.
Was ist über die Ermittlungen in Hamburg zu sagen?
Wie in anderen Bundesländern auch, ist es auch in Hamburg so gewesen, dass der Fokus immer im Bereich organisierte Kriminalität lag. Entsprechend wurden das Opfer und sein Umfeld intensiv durchleuchtet, ob es da nicht irgendwelche Verbindungen in kriminelle Kreise, in organisierte Kriminalität, zur PKK, zu Grauen Wölfe, zur türkischen Mafia gäbe. Solche Konstrukte wurden gesponnen und es wurde immer in diese Richtung ermittelt. Ein rassistischer Mordfall oder Neonazis als Täter wurden von vorne herein ausgeschlossen. Hamburg hat da eine besonders tragische Rolle gespielt, denn als die bundesweiten Zusammenhänge in die Sackgasse geraten waren und überlegt haben, da nochmal ganz neu ran zu gehen und die Mordserie zu überdenken, und zu überlegen, dass diese auch rassistische und neonazistische Motive haben könnte, da haben die Hamburger Ermittler am stärksten im bundesweiten Ermittlungszusammenhang opponiert und wollten das ausschließen.
Wie ist das momentane Verhalten der Hamburger Behörden zu dem Thema einzuschätzen?
Ernüchternd. Wenn das Thema im Innenausschuss verhandelt wird, ist beispielsweise der aktuelle noch stellvertretende Leiter des Hamburger Verfassungsschutz, zukünftig Leiter, Herr Voss als Experte geladen. Der referiert im Prinzip das, was schon bekannt ist. Und zwar nicht bekannt durch die Behörden selber, sondern durch Medien und die Arbeit von Abgeordneten. In Hamburg gibt es ziemlich wenig Antrieb, selber noch einmal mögliche Fehler oder Versäumnisse aufzuarbeiten. Das geschieht entweder, wenn es starken Druck von außen gibt z.B. durch Medien, oder wenn konkret von der Generalbundesanwaltschaft Ermittlungsaufträge kommen.
Wie ist der deutschlandweite politische und mediale Diskurs zum Themenkomplex NSU einzuschätzen?
Momentan ist das mediale Augenmerk wieder ziemlich eingeschlafen. Der Höhepunkt war meiner Meinung nach im Sommer 2012. Als die ganzen Fehler und Versäumnisse auf Behördenebene zu Tage traten, als dann nacheinander eine ganze Reihe von Leitern von Landes- oder vom Bundesamt für Verfassungsschutz zurücktreten mussten. Es gab dann zu Prozessauftakt nochmal ein großes Augenmerk.
Seit Prozessbeginn nur noch über das Kerntrio berichtet. Was leider vollkommen aus dem Blickpunkt geraten ist, das ganze Umfeld des NSU, die Strukturen, die dahinter standen und auch das ganze Vorgehen der Behörden über die Jahre ist kein großes Thema mehr. Das wurde von den meisten Medien mit dem Ende des Bundestaguntersuchungsausschuss ebenfalls beendet.
Hatten die Ermittlungen in Hamburg einen Charakter, den man als institutionellen Rassismus bezeichnen könnte?
Durchaus. Hamburg hat sich im bundesweiten Zusammenhang vehement dagegen gewehrt, in der BAO Bosporus ein anderes Motiv auch nur ernsthaft zu verfolgen, sondern an der These Organisierte Kriminalität festgehalten. Hinzu kommen einzelne Zitate, wie dass das Opfer als typisch türkischer Mann mit angeblich typisch ethnischen Eigenschaften charakterisiert wurde von den Hamburger Ermittlern oder, dass man in einer Vernehmung dem Vater von Taşköprü aufgrund seines Migrationshintergrundes mögliche Ablehnung der Polizei unterstellte. Und dass in einer Fallanalyse der Hamburger Ermittler das Sozialverhalten des Opfers als „Schmarotzer“ bezeichnet wurde. Das sind alles für mich Ansatzpunkte dafür, dass man auch in den Hamburger Behörde gewisse rassistische Strukturen gibt, die vielleicht gar nicht so bewusst sind, aber das darüber eben auch nicht reflektiert wird.
Was kann bisher über die Naziverbindungen nach Hamburg gesagt werden?
Es hat natürlich einige Verbindungen gegeben. Die Szene ist nicht so groß und Nazikader aus Hamburg waren in den 90er Jahren auf bundesweiten Aufmärschen und Treffen und haben da Leute aus dem Thüringer Heimatschutz und wahrscheinlich auch von NSU getroffen. Es gibt darüber hinaus konkretere Verbindungen insbesondere zu Jürgen Rieger und zu der Rechtsanwältin Gisa Pahl in Hamburg. Pahl hat eine Rechtsschulung gemacht, an der auch Uwe Böhnhardt teilgenommen hat. Außerdem war ihr Deutsches Rechtsbüro Empfänger des sogenannten NSU-Briefes. Bei diesem ging es zum Einen um politische Werbung für die Sache des NSU, und zum Anderen ist der NSU-Brief an verschiedene Organisationen und Zeitschriften der Naziszene gegangen, da lag teilweise Geld mit bei.
Auch in Hamburg hat es Ende der 90er Anfang der 2000er, wie bundesweit auch, eine intensivere Diskussion um militante Aktionen, um bewaffneten Kampf gegeben und da gibt es Hamburger Publikationen, die in Verbindung mit dem NSU zu bringen sind.
Wie sind die Aufklärungsbemühungen von den Hamburger Behörden zu bewerten?
Ziemlich zurückhaltend. Insbesondere, wenn man sich die vollmundigen Worte des Hamburger Innensenators anhört, der eine lückenlose Aufklärung versprochen hat. Der sein Entsetzen verkündet hat über die Mordtat und auch gesagt hat, man würde mögliche Versäumnisse und Fehler aufklären. Wenn man sich dann anguckt, was bisher dazu geschehen ist, dann ist das leider ziemlich wenig. Die Medien oder einzelne Bürgerschaftsabgeordnete wie Christiane Schneider von der Linken, die haben da deutlich mehr zu beigetragen. Man muss sagen, dass ihr Bemühungen dann torpediert worden sind von denjenigen, die zuvor gesagt haben, sie würden für eine lückenlose Aufklärung einstehen. Wenn man sich die Bürgerschaftsanfragen ansieht, dann werden diese entweder damit beantwortet, dass keine Antwort gegeben werden könne, weil die Antworten dem Geheimschutz unterliegen und nur dem PKA gegenüber geäußert werden könnten oder aber, dass es ein laufendes Ermittlungsverfahren der Generalbundesanwaltschaft gibt, das die Antwort betrifft und man deswegen nicht antworten könne. Auf der Ebene hat sich wenig getan. Das trifft nicht nur auf die Polizei und den Verfassungsschutz zu, sondern das betrifft meines Erachtens auch die Generalstaatsanwaltschaft. Da möchte ich ein Beispiel geben: Der Generalstaatsanwalt hier in Hamburg Lutz von Selle, der ist in einer Innenausschusssitzung gefragt worden, ob es denn unter den diversen Zeugen, die in dem Ermittlungsfall Süleyman Taşköprü gefragt worden sind, nicht auch mal jemanden gegeben hätte, der auch Neonazis oder Rassisten als mögliche Täter in Erwägung gezogen hätte. Und da sagt der Generalstaatsanwalt mit dem Brustton der Überzeugung: Nein, sowas hätte es nie gegeben und der hat dem auch noch vorangestellt, man hätte im Nachhinein die Akten noch dreimal durchgearbeitet. Dabei gibt es mehrfach die Aussage von Zeugen, die gesagt haben, es könnten sehr wohl Neonazis gewesen sein. Da ist sehr wenig Selbstkritik am Werke, im Wesentlichen wird es jetzt versucht, alles möglichst schnell zum Ende zu bringen und alle kritischen Nachfragen draußen zu halten.
Wie sind denn die Hamburger Behörden vor und nach dem Auffliegen des NSU mit den Angehörigen umgegangen?
Vor der zufälligen Selbstenttarnung des NSU sind eigentlich wie an allen Tatorten die Angehörigen in erster Linie als potentiell Verdächtige behandelt worden. Es ist in ihrem Umfeld ermittelt worden. Nach dem zufälligen Auffliegen gab es erstmal pro forma eine Entschuldigung auch aus Hamburg an die Angehörigen des Mordopfers Süleyman Taskörpü, allerdings ist ja bekannt geworden, dass die Familie sich nach wie vor sehr schlecht behandelt fühlt durch die Behörden, durch die ehemaligen Ermittler, und deswegen es auch abgelehnt hat, an der Feierstunde des Bundespräsident Gauck teilzunehmen.
Wäre ein Untersuchungsausschuss in Hamburg angebracht?
Das wäre sicherlich angebracht. Dann haben nicht nur diejenigen auf die Akten Zugriff, die diese Akten selber produziert haben. Jetzt ist es so: die Polizei soll Antworten geben zu möglichen Versäumnissen der Polizei, der Verfassungsschutz soll Antworten geben zu möglichen Versäumnissen des Verfassungsschutzes, die Staatsanwaltschaft zu ihren möglichen Versäumnissen, aber niemand kann das in irgendeiner Form überprüfen, weil Abgeordnete keine Akten einsehen können. Es können keine Zeugen vorgeladen werden, denen entsprechende Vorhalte gemacht werden können, die befragt werden könnten. Damit ist die Aufbereitung in der Bürgerschaft bzw. im Innenausschuss meiner Meinung nach ziemlich überflüssig.
Wie ist der weitere Verlauf einzuschätzen? Wie ist der Aufklärungswille in Deutschland?
Bei allen Opfern und Angehörigen und bei deren Anwälten ist der Aufklärungswille natürlich sehr hoch, ich glaube auch bei großen Teilen der Öffentlichkeit gibt es da nach wie vor ein großes Unbehagen. Von Behördenseite gibt es kein großes Interesse mehr, daran weiter zu rühren. Das Gericht hat in erster Linie ein Interesse daran, den Prozess revisionssicher durchzuziehen und zu einem Urteil zu kommen. Das heißt, da wird es wahrscheinlich nicht in erster Linie darum gehen, mögliche Hintergründe oder das Umfeld des NSU aufzuklären.
Zu Jahrestagen oder bei neuen Erkenntnissen wird das noch Thema sein. Aber der Scheitelpunkt der Skandalisierung ist überschritten. Das stellt uns als kritische Beobachter vor schwierige Fragen, wie es gelingen könnte, das ganze Thema nochmal mehr in die Öffentlichkeit zu bringen. Vielleicht sogar Leute auf die Straße zu bewegen.