„DIE GESELLSCHAFT LERNT NICHT GENUG DARAUS.“ Interview mit Christiane Schneider von der Fraktion der Linkspartei Hamburg.

Warum haben Sie sich des Themas NSU angenommen? Warum halten Sie es für wichtig?

Das war ein Schock. Über das totale Staatsversagen. Aber auch ein Schock über das eigene Versagen. Ich glaube da hat auch die Gesellschaft insgesamt versagt. Bis auf Teile der migrantischen Communities hat das niemand ernstlich in Zusammenhang gebracht.
Da habe ich die Notwendigkeit gesehen, das lückenlos aufzuarbeiten, wie es zu diesen Morden und diesem diesem schrecklichen Versagen kommen konnte. Das ist meine Triebkraft, das ist der Grund, warum ich das Thema in der Bürgerschaft immer wieder auf die Tagesordnung setze.

Wie gestaltet sich Ihre Arbeit und die Aufklärung?

Außerordentlich zäh. Wir haben von Anfang an versucht, Kontakte Hamburger Neonazis zum Thüringer Heimatschutz und zum weiteren und näheren Umfeld des NSU zu untersuchen und herauszuarbeiten. Es scheint mir offensichtlich, dass es ein abgestuftes Netzwerk gegeben haben muss: Leute die Bescheid wussten, Leute die was ahnten, Leute die Unterstützungsleistungen gegeben haben. Ohne ein Netzwerk, auch in den Städten, wo gemordet worden ist, wären diese Morde nicht möglich gewesen. Deswegen habe ich von Anfang an einen Schwerpunkt darauf gelegt, diese möglichen Verbindungen zu thematisieren.

Hamburg hat sich von Anfang an auf Standpunkt gestellt: „Von Hamburg gibt es keine Verbindungen ins nähere oder fernere Umfeld“. Man musste dem Senat die Informationen wirklich aus der Nase ziehen. Die Taktik der Gegenseite war dabei nicht: „Wir sagen jetzt gar nichts“. Man hat immer ein bisschen das zugegeben, was ich auch schon selber herausgefunden hatte. Aber freiwillig ist nichts gekommen.
Das ist umso merkwürdiger, da ein Teil dieser militanten, also wichtigen Kader der militanten Neonaziszene in den neunziger Jahren und teilweise bis heute in Hamburg beheimatet sind – Christian Worch zum Beispiel oder Thomas Wulff, Jürgen Rieger nicht zu vergessen, der ja durchaus mit dieser Angelegenheit zu tun hat. Sie waren in ein norddeutsches Netzwerk eingebunden und haben gemeinsam mit bekannten militanten Nazis, wie beispielsweise Martin Wiese aus München oder dem Thüringer Heimatschutz verknüpft waren und gemeinsame Aktionen gemacht. Als ein Beispiel lassen sich da die Rudolf Heß Gedenkmärsche nennen.

Ein zweiter Strang ist das Versagen der staatlichen Behörden, insbesondere auch des LKA. Beispielsweise haben sich die Hamburger Behörden am vehementesten gegen die These von dem Münchener Profiler gewandt, der immerhin angesprochen hat, dass das Rechtsextreme sein könnten – also Menschen die Türken hassen.
Bei den Aussagen des Vertreters des Hamburger LKA vor dem Berliner Untersuchungsausschuss ist das zutage getreten. Da finden sich dann in den Akten und in den Unterlagen Aussagen, dass Taşköprü als Sozialverhalten zugeschrieben wurde, ein „Schmarotzer“ zu sein – das soll dann zwar ein Zeuge gesagt haben, aber es wurde völlig ohne Distanz zur Grundlage gemacht.
Der Beamte hat sich vor dem Untersuchungsausschuss auch darüber ausgelassen, was ein typischer Türkischer Mann sei – da konnte man dann schon an der Wortwahl sehen, dass das außerordentlich problematisch ist. Gül Pinar hat das mal schön gesagt: „Sie haben wirklich alles getan, nur nicht nach rechts gesehen“. Und so war e auch.

Was ist momentan über die Naziverbindungen nach Hamburg bekannt?

Angeblich gibt es keine Erkenntnisse von Kontakten von Hamburger Personen zum NSU. Der Trick ist dann immer, dass sie so tun, als hätte ich nach strafrechtlich relevanten Verbindungen gefragt. Mir geht es aber nicht um Verbindungen, die strafrechtlich zu bewerten sind, sondern mir geht es darum, welche politischen Verbindungen es gab. Das ist eine kleine Welt, die kannten sich alle untereinander. Die Hauptfiguren der Naziszene waren eng miteinander verbunden. Ob durch Freundschaft und Feindschaft – auf unterschiedlichste Weise trafen sie regelmäßig aufeinander und organisierten zusammen Demonstrationen.
Und andere Personen, die da eine Rolle spielen, zum Beispiel auch als Angeklagte, hatten Verbindungen zu Hamburger Personen: sei es zu Gisa Pahl mit dem Deutschen Rechtsbüro oder sei es zu Jürgen Rieger, der ein bisschen wie eine Spinne im Netz saß.

Was zeichnet den Hamburger Fall in den ganzen Themenkomplex aus? Warum ergibt sich, dass es auch medial ein wenig beachteter Tatort ist?

Die Linie war von Anfang an: In Hamburg alles super gelaufen. In Hamburg gibt es überhaupt keine Probleme. Der Senat, sagt: „Gut, wir haben es nicht gesehen. Die anderen haben es auch nicht gesehen. Und wir sind auch nicht besser als die anderen. Aber solche Probleme wie bei den anderen hat es bei uns nicht gegeben.“
Ich weiß nicht, wieso sie damit durchkommen. Vielleicht weil es an dem öffentlichen Interesse mangelt. Es wird nicht nachgesetzt und anscheinend kein Interesse entwickelt. Da muss was aufgeklärt werden. Da ist etwas von den Behörden zu verarbeiten. Aber im Senat wird das Thema verhandelt, als wäre das eine Marotte von mir.
Wahrscheinlich herrscht in der Öffentlichkeit der Eindruck, dass das ganz zufällig ist, dass jemand in Hamburg ermordet wurde.
Natürlich war das in gewisser Weise Zufall, die hätten sich ja auch jede andere Stadt aussuchen können. Aber: Warum in der Schützenstraße? Das ist ein Ort, der ist ruhig, der ist nicht gut einsehbar. Also da geht die Gefahr von Zeugen oder das aus dem Fenster gegenüber jemand was beobachtet gegen null. Es gibt eine Ausfahrtstraße hundert Meter weiter, über die man sofort verschwinden kann. Auf den Ort muss man kommen. Diesen Aspekten ist nicht erkennbar nachgegangen worden. Es muss also einen Bezug zur Hamburger Naziszene geben.
Aber dieser Gedanke fehlt in der Öffentlichkeit und der Eindruck wird vom Senat gefördert.

Hatten die Ermittlungen in Hamburg einen Charakter, den man als institutionellen Rassismus bezeichnen könnte?

Ja, das würde ich so sagen. Die Behörde schreit immer auf, wenn man das sagt. Sie denken, ich würde die Beamten als Rassistinnen und Rassisten bezeichnen.
Weil sie sich mit der Problematik nicht wirklich auseinandersetzen. Was ich meine, sind Strukturen, das sind Handlungsweisen, Operationsweisen, eingeschliffene Verhaltensweisen. Das sagt über die einzelnen beteiligten Beamten nichts aus, wenn ich von institutionellem Rassismus spreche.
Sie haben auch in Hamburg ausschließlich in der Familie und im Umfeld des Ermordeten nach dem Täter gesucht. Sie haben den Ermordeten als Quasi-Täter mit kriminellen Verbindungen behandelt. Sie haben mögliche Verbindungen zur PKK oder den grauen Wölfe untersucht.
Sie haben wirklich dieses „es muss aus dem ‚Ausländermilleu‘ kommen“ als einzige Spur verfolgt. Aber es gab Zeugenaussagen, die dahin gingen, das es Menschen sind, die Türken hassen. Aber das hat bei den Untersuchungen keine Rolle gespielt.

Anfang dieses Jahrtausends gab es bundesweit und auch in Hamburg einen eklatanten Anstieg an Gewalttaten aus der Naziszene. Sogar Waffenfunde hat es gegeben.
Aber es wurde kein Zusammenhang zwischen den Bereichen hergestellt. Es gab da keine Sensibilität. Und das hängt mit den Routinen zusammen, die sich in solchen Behörden entfalten und die das Handeln lenken.
Das ist ein wesentlicher Bestandteil von dem, was man als institutionellen Rassismus bezeichnet.

Warum werden nicht einfach Antworten geliefert um dann sagen zu können, „Wir haben das alles aufgearbeitet“? Warum wird derartig gemauert?

Erstens kann ich mir schon denken, dass es etwas zu verbergen gibt. Also im Bezug jetzt auf den NSU und Hamburger Beziehungen. Wenn zum Beispiel Rieger in irgendeinem engeren Kontakt zum NSU oder NSU-Umfeld stand, oder auch Bescheid wusste und seine ideologische und sonstige Unterstützung gegeben hat; wenn das der Fall ist, dann hat der Verfassungsschutz natürlich völlig versagt. Nicht nur allgemein, indem sie nicht zur Aufklärung beigetragen haben, sondern dann ist ihnen wirklich etwas entgangen. Und so etwas geben Behörden nie gerne zu.

Zweitens tun sich Sicherheitsbehörden wahnsinnig schwer damit, sich überhaupt einer Kontrolle zu öffnen, weil das mit ihrem Selbstverständnis unvereinbar ist. Dass die Polizei von der Öffentlichkeit, von einem Parlament oder dergleichen kontrolliert wird, ist für die unvorstellbar. Egal ob es um die die Aufarbeitung einer Demonstration oder allgemeines Polizeihandeln geht, reagieren sie nur beleidigt.
Allerdings wird das in der Polizei schon aufgearbeitet – mehr oder weniger selbstkritisch, meistens weniger selbstkritisch. Warum das der Öffentlichkeit nicht kommuniziert wird, weiß ich nicht. Ich denke das hängt mit der Logik von solchen Organisationen zusammen.

Wie war der Umgang mit den Angehörigen des Mordopfers?

Der Leiter der Hamburger Ermittlungsgruppe ist vor dem Untersuchungsausschuss damit konfrontiert worden, dass sie den Vater vom Tatort mitgenommen und verhört haben. Die Tochter wurde ebenfalls mitgenommen und musste dann für den Vater übersetzen, während dieser beschuldigt wurde, mit dem Mordfall an seinem Sohn zu tun zu habe.
Das spricht für einen extrem gedankenlosen und sehr problematischen Umgang. Andererseits höre ich auch aus dem LKA, dass es da auch Personen gab, denen das unheimlich nahe gegangen ist und die den Kontakt mit den Angehörigen gesucht haben. Die haben versucht, die Familie zu unterstützen.
Aber es ist nicht gelungen, den Angehörigen einen anderen Eindruck zu vermitteln, als das sie verdächtig sind, dass es keine Empathie und vor allem keinen Aufklärungswillen gibt.
Deshalb ist der Umgang mit den Angehörigen in Hamburg im Prinzip nicht anders als in den anderen Fällen.

Wie schätzen Sie den weiteren Verlauf bezüglich der Aufklärung des NSU-Komplex ein?

Ich bin sehr skeptisch! Das Gericht hat einen sehr engen Blick. Vor allem einen Blick auf zu wenig Personen. Das Hauptproblem ist, dass man dieses Netzwerk, in das das NSU-Trio eingebunden war, nicht untersucht. Das Gericht untersucht nur Szenarien und Konstellationen bei denen es zu strafrechtlich relevanten Handlungen kam. Das ist zu eng! Da sind eine ganze Menge Figuren, die da völlig rausrutschen.

An den verschiedenen Orten, ist das Interesse, aufzuhellen, wo das politische Netzwerk ist, sehr gering. Da fällt ein riesiger Bereich mangels Interesse weg. Da fällt der Blick einfach nicht drauf. Das finde ich eigentlich das Schlimmste, denn das heißt die Gesellschaft lernt nicht genug daraus. Ich weiß gar nicht, wie man sich dagegen wappnet, dass das nicht nochmal passiert. Und wieder nicht aufgeklärt wird. Das ist das Schlimme. Dass Nazis morden, kann immer sein. Aber dass das wieder nicht aufgeklärt wird, wieder Menschen sterben weil es nicht richtig aufgeklärt ist, Anzeichen nicht richtig gedeutet werden, Personen nicht richtig eingeschätzt werden und die Bedeutung von solchen Netzwerken unterschätzt wird, dass ist glaube ich eine riesige Gefahr.

Gibt es den Willen in der Gesellschaft und bei den Behörden, einen Schlussstrich zu ziehen?

Ich glaube das man froh ist, wenn man am Ende ein paar verurteilen kann. Ich glaube schon, dass das Verurteilungs-Interesse groß ist, aber dann ist auch gut. Also gilt es als aufgearbeitet.
Man sieht jetzt schon bei den Opfern und auch bei den Communities, dass das nicht reichen wird. Das schafft keinen Frieden. Weil einfach zu viel ungeklärt ist. Aber ich glaube, dass das, bewusst oder unbewusst, schon das Bestreben ist, dass irgendwann ist auch mal gut ist. Das war auch die Stimmung im Innenausschuss. Irgendwann ist auch mal gut!

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